Die Corona-Pandemie hat gnadenlos aufgezeigt, was Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulpsycholog*innen, zahlreichen Bildungswissenschafter*innen und auch den Eltern bereits lange klar war: Das österreichische Bildungssystem ist stark veraltet und vermag es selbst im Jahr 2020 noch nicht, Bildungsgerechtigkeit auszugleichen. Im Gegenteil: Durch die Corona-Pandemie wurden diese Ungleichheiten sogar noch weiter verschärft. Oder anders gesagt: In Österreich bestimmen immer noch der Geldbeutel und der Bildungshintergrund der Eltern, wer eine Zukunft hat. Mehrere Studien bestätigen, dass der Bildungserfolg zunehmend von der sozialen Herkunft abhängt. All die Bildungsreformen der letzten Jahrzehnte haben an diesem Missstand nichts geändert.Die Reform der Mittelschule und die Einführung der Bildungsstandards etwa haben nicht die gemeinsame Schule für alle geschaffen, sondern haben eine Nivellierung nach unten, mehr Tests und Druck und die reine wirtschaftliche Verwertbarkeit der Kinder zufolge. Das enge Korsett der Standards lässt zudem keinen Raum mehr für kreatives und kritisches Denken. Von einer Ganztagesschule sind wir weit entfernt. Das Home-Schooling wegen Corona hat darüber hinaus zu zusätzlichen Benachteiligungen geführt: Kinder bekamen Aufgaben zugeschickt, die sie in der häuslichen Umgebung erledigen sollten. Je nach Schule oder auch Lehrkraft variierten die Wege der Vermittlung: per Mail, über Messenger-Dienste oder schuleigene Portale, in die sich die Kinder und Jugendlichen einloggen können. Schüler*innen und Lehrkräfte müssen ihre eigenen elektronischen Geräte nutzen – wer keines hat, ist vom E-Learning ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass Schule zu Hause in sehr unterschiedlichen teils belasteten Lebenssituationen stattfindet: Schüler*innen betreuen jüngere Geschwister und sind mit familiären Stresssituationen konfrontiert. Sie leben in Ungewissheit darüber, wann und wie die Prüfungen stattfinden sollen und können, es fehlen häusliche Rückzugsorte zum Lernen, Lesen und Entspannen. Kinder, die zu Hause keine oder wenig Hilfe bekommen, drohen, hinter den anderen zurückzubleiben. Das muss verhindert werden! Schule zu Hause ist „Krisen-Beschulung“. Die Wohnzimmer der Elternhäuser sind keine idealen Lernorte. Schule braucht die Professionalität von Lehrkräften, Erzieher*innen und Sozialarbeiter*innen. Insbesondere Frauen sind von dieser Krise stark betroffen: Dass die Corona-Krise Frauen mit der Kombination Homeoffice und Homeschooling gleich mehrfach belastet, ist mittlerweile gut erforscht. Binnen Tagen kippten emanzipierte Lebensmodelle. Es waren Frauen, die in ihrem Job zurückstecken, die Kinderbetreuung übernehmen, einkaufen, den Haushalt schmeißen und Schulaufgaben managen mussten. Oft, damit der besserverdienende Mann weiter arbeiten gehen konnte. Diese leisteten mehr an unbezahlter Arbeit, damit der Alltag überhaupt für Familien weiterlaufen konnte.
Somit werden die Probleme im Bildungswesen zu gesamtgesellschaftlichen Problemen. Dem muss entschieden entgegengetreten werden mit einer Reihe von solidarischen Maßnahmen.
Mit dem heutigen Schulbeginn läuten nicht nur die Schul- sondern auch die Alarmglocken, denn es ist allerhöchste Zeit für eine Bildungsrevolution, um zusätzlichen Benachteiligungen materiell, finanziell und personell entgegen zu wirken. Wir müssen Kindern ermöglichen, die Zukunft in die Hand zu nehmen. Lassen wir kein Kind zurück. Machen wir sie zu Held*innen ihrer Zukunft mit einem fundierten Maßnahmenpaket für mehr Bildungsgerechtigkeit:
Flexible Lernmöglichkeiten gewährleisten
Die Wohnzimmer der Eltern sind keine ausreichenden Lernorte. Oftmals sind Wohnungen zu klein oder überbelegt und Kinder haben keinen Rückzugsort. Besonders Mindestsicherungsbezieher*innen trifft das hart. Kinder in Innsbruck sollen das Anrecht auf einen solchen häuslichen Rückzugsort erhalten. Dieser muss bei der Vergabe von Wohnungen an Bezieher*innen der Mindestsicherung berücksichtigt werden. Darüber hinaus braucht Innsbruck mehr Freiräume für Jugendliche, die sie auch während der Krise als Rückzugs- und Lernraum nutzen können.
Eltern und vor allem Frauen während und nach der Pandemie entlasten
Während des Lockdowns mussten viele Eltern ihre Kinder länger betreuen. Dies traf vor allem Frauen. Nicht nur mussten diese ihrem alltäglichen Homeoffice nachgehen, sondern viele haben auch den Haushalt weitergeführt und mussten die Kinder unterrichten sowie ihnen bei schulischen Aufgaben helfen. Außerdem haben viele Eltern ihren Sonderurlaub von drei Wochen bereits aufgebraucht. Innsbruck als Arbeitgeberin muss hier mit gutem Beispiel voran gehen. Wenn Angestellte der Stadt oder von stadtnahen Betrieben einen Sonderurlaub für die Betreuung brauchen, soll dieser ohne Weiteres gewährt werden. Dies kann auch einen positiven Effekt auf private Unternehmen haben, sodass diese dann nachziehen. Die Stadt soll hier zudem im Falle von steigenden Fallzahlen mit den Systempartner*innen wie Schulen oder Horten ein Konzept ausarbeiten, das weiterhin eine Betreuung sicherstellt, um gezielt Frauen zu entlasten.
Härtefälle unterstützen
Krisenzeiten sind auch in der Familie keine einfachen Zeiten. Isolation, psychische Probleme und häusliche Gewalt mehren sich. Hierfür muss vor allem auch eine aufsuchende Schulsozial- und Jugendarbeit ins Leben gerufen werden, um besonders Härtefälle zu unterstützen. Eine Möglichkeit ist die Vernetzung dieser Schulsozialarbeit mit der bereits vorhandenen Jugendarbeit der Stadt. Analog zum Frauennotfalltelefon kann die Stadt ein Jugendnotfalltelefon einrichten.
Das Coronavirus an den Schulen eindämmen
Kinder sind – wenn es nach der Statistik geht – nicht unmittelbar gefährdet, schwere Symptome im Falle eine Corona-Erkrankung zu entwickeln. Allerdings sind die Lehrpersonen und das Schulpersonal dafür sehr wohl anfällig. Innsbruck soll sich in diesem Bereich für rasche Testungen an Schulen sowie für Gratis-Tests für das Schulpersonal einsetzen. Testmethoden – Gurgeltest oder Rachenabstriche – sollten dabei dem Alter der Schüler*innen angemessen sein.
Helfen wir einander gegenseitig
Kinder lernen nicht nur in der Schule von den Lehrenden. Sie lernen auch voneinander. Dieses peer-gestützte Lernen fällt aber ebenso im Lockdown aus. Viele Kinder sind dadurch bildungstechnisch abgehängt. Ein städtisches Nachhilfeportal könnte dem entgegenwirken. Analog zur Nachbarschaftsplattform “Voisin. Voisine” in Grenoble könnte die Stadt eine solidarische Digitalplattform für die gegenseitige Hilfe aufbauen. In Kooperation mit der Universität Innsbruck und auch der PHT Tirol kann so eine Nachhilfe organisiert werden, die nicht der Privatmarkt anbietet. Eine solche Plattform kann aber noch viel mehr leisten: Nachhilfestunden sollen dort angeboten werden, aber auch eine Nachbarschaftshilfe kann sich so etablieren. Dort können sich auch Menschen melden, die einsam sind, die nicht einkaufen können oder die sonst auf Hilfe angewiesen sind.
Kindern gehört die Zukunft, sparen wir sie nicht kaputt – Investitionsstau aufbrechen
Innsbrucks Schulen leiden an chronischer Unterfinanzierung. Es gibt einen Investitionsstau von einem zweistelligen, hohen Millionenbetrag. Nicht nur die digitale Infrastruktur vieler Schulen muss nachgebessert oder überhaupt errichtet werden, viele Schulen haben kein warmes Wasser oder haben kaputte Fenster und können nicht gut lüften. Während des Lockdowns waren zahlreiche Schüler*innen nicht erreichbar und konnten auch, weil sie keine Endgeräte hatten, nicht am Unterricht teilnehmen. An die 1600 Schüler*innen nahmen tirolweit nicht teil, vor allem sei dieses Problem in den Ballungsräumen und so auch in Innsbruck vorhanden gewesen. Auch die digitale Infrastruktur gehört zum Schulerhalt.
Innsbruck muss die Mängel an allen Schulen erheben und beheben und die notwendigen Gelder dafür freimachen. Innsbruck muss in einem neuerlichen Fall von Schulschließungen sowie auch im Falle einer Quarantäne, die durchaus im Winter erneut auf uns zukommen können, als Schulerhalterin gewährleisten, dass Lernen weiterhin möglich ist. Gemeinsam mit den Innsbrucker Kommunalbetrieben soll die Stadt in die Digitalisierungsoffensive gehen, den Breitbandzugang an Schulen ausbauen und jenen Schüler*innen digitale Endgeräte zur Verfügung stellen, die keine besitzen. Außerdem muss das drahtlose Internet an öffentlichen Plätzen ausgeweitet werden, sollten Haushalte über keinen ausreichenden Zugang verfügen.